Perspektiven auf Sprache – zum Zusammenhang von Sprache und Kultur (3)
Dieser Text ist die Fortsetzung der Texte „Perspektiven auf Sprache – zum Zusammenhang von Sprache und Kultur (1)“ und „Perspektiven auf Sprache – zum Zusammenhang von Sprache und Kultur (2)„. Im ersten Teil wurde zunächst beschrieben, was unter „Kultur“ verstanden werden soll. Anschließend wurden als Zugänge zu Kultur über Sprache genannt
- der Zugang über das Hinterfragen von Bedeutungen;
- der Zugang über Grammatik und
- der Zugang über die sprachliche Realisierung von kommunikativen Absichten (Kommunikationsstile).
Schließlich wurde der erste Zugang über das Hinterfragen von Bedeutungen am Beispiel der Bedeutung von „Heimat“ ausführlich vorgestellt. Im zweiten Teil wurde am Beispiel der Kulturkontrastiven Grammatik der zweite der drei Zugänge thematisiert
In diesem dritten Teil soll am Beispiel von Kommunikationsstilen auf den dritten der drei Zugänge eingegangen werden.
3. Kommunikative Absicht und sprachliche Realisierung – Kommunikationsstile
Der erweitere Grammatikbegriff der im Teil 2 beschriebenen Kulturkontrastiven Grammatik, der „in einer textuellen Umgebung nicht nur die Zuordnung von Form, Bedeutung und Funktion betont, sondern auch Sprachhandlungsaspekte integriert“ (Traoré 2008: 76), erfasst viele Aspekte der sprachlichen Realisierung kommunikativer Absichten. Trotzdem soll hier als dritter Zugang zu Kultur über Sprache der Zugang über unterschiedliche Kommunikationsstile vorgestellt werden.
Greg Nees definiert „Kommunikationsstil“ wie folgt:„Kommunikationsstil bezieht sich auf die Muster, die wir verwenden, wenn wir sprechen. Der Begriff beinhaltet, wie wir unsere Präsentation organisieren, welche Informationen wir betonen, wie schnell wir sprechen, die Intonationsmuster, wann wir pausieren, wann wir unterbrechen, wie und wann wir lächeln oder gestikulieren, wie wir Humor benutzen oder wie wir uns entschuldigen, was wir als Ziele einer gegebenen Interaktion annehmen und vieles mehr“ (Nees 2000: 62 – Übersetzung UZ).
Er betont die Wichtigkeit, sich unterschiedliche Kommunkationsstile bewusst zu machen: „Most people cannot easily change their communication style, especially the nonverbal components, nor would they want to; however , simply being aware of style differences and how they are culturally determined often helps one develop a more tolerant attitude towards those differences. This tolerance alone can often decrease misunderstanding and raise the level of satisfaction for hose communicating across cultures“ (Nees 2000: 94 – 95).
Unter Kommunikationsstilen versteht man also spezifische Weisen bzw. Präferenzen des kommunikativen Verhaltens. Insofern befinden wir uns hier auf einer erweiterten Ebene der Sprachverwendung, die über einzelne Texte und sprachliche Handlungen hinausgeht.
So hat Juliane House in den 1990er Jahren Untersuchungen zu Unterschieden im Diskursverhalten englischer und deutscher Muttersprachler durchgeführt.
Dabei hat sich „ein ganz bestimmtes Muster kultur- und sprachbedingter Unterschiede im Diskursverhalten englischer und deutscher Muttersprachler herauskristallisiert, d.h. es lassen sich systematisch-unterschiedliche kommunikative Präferenzen feststellen, die als ein Satz von fünf Dimensionen dargestellt werden können, entlang derer Mitglieder deutscher und anglo-amerikanischer Sprach-und Kulturgemeinschaften differieren. Diese Dimensionen sind:
- Direktheit – Indirektheit
- Orientiertheit auf das Ich – Orientiertheit auf das Gegenüber
- Inhaltsorientiertheit – Adressatenorientiertheit
- Explizitheit – Implizitheit
- Ad-hoc-Formulierung – sprachliche Routinen.
Deutsche Muttersprachler tendieren dazu, entlang dieser Dimensionen Werte auf der linken Seite einzunehmen. Es muß jedoch betont werden, daß es sich hier um Kontinua handelt und nicht um Dichotomien, und daß wir es hier mit Tendenzen und nicht mit kategorischen Unterschieden zu tun haben“ (House 1997: 8 – 9).
Aus ihren Untersuchungen schlussfolgert Juliane House, dass sich kommunikative Präferenzen in verschiedenen Kulturen/ Sprachen entlang dieser fünf empirisch ermittelten Dimensionen abbilden lassen, und dass solche kommunikativen Präferenzen eine wichtige Rolle bei der Entstehung und Erklärung von Missverständnissen spielen.
Zur Erläuterung bringt sie die folgenden Beispiele für unterschiedliche Kommunikationskonventionen:
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„(Situation: Eine Arbeitskollegin hat eine andere beleidigt) You’re not upset, are you? – Ich wollte dich nicht kränken.
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(Situation: Studentin klopft an die Bürotür einer Professorin) Are you busy at the moment? – Störe ich?/ Kann ich Sie einen Moment stören?
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(Situation: Im Zugabteil) Is this seat taken?/ Is anyone sitting here? – Ist dieser Platz noch frei?
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(Situation: Studentin möchte, daß ihre Freundin die gemeinsame Küche aufräumt) Don’t you think, it might be a good idea if you tidied up in here? – Ich finde, du solltest die Küche aufräumen.
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(Situation: Professor hebt an, einer Studentin eine Sachlage zu erklären) Without trying to bore you with unnecessary details… – Also, mein Hauptpunkt hier ist folgender, und ich will versuchen, die wesentlichsten Punkte in aller Kürze darzustellen…
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„Small Talk“ und Eröffungs-/Beendigungsphasen Nice to see you / Nice meeting you / Lovely talking to you / Let’s get together some time / Let’s have dinner some time. – Ad hoc Formulierungen im Deutschen.
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(Situation: Im Bus. Ein Fahrgast tritt einem anderen auf den Fuß): Sorry. – (Oh) Entschuldigung / Verzeihung / Entschuldigen Sie (bitte) / Tut mir leid / Pardon / Sorry etc.“ (House 1997: 8 – 9).
Weitere Beispiele lassen sich auch finden, wenn man aufmerksam den Umgang mit Sprache in seiner Umgebung beobachtet. So fand ich diese beiden Aufkleber auf der Brüstung des Hörsaalzentrums im dritten und vierten Stock, die in der sprachlichen Darstellung unterschiedliche Perspektiven auf den gleichen Sachverhalts zeigen: Unten könnte jemand verletzt werden versus meine Gegenstände könnten abstürzen.
Auf Twitter fand ich folgendes Beispiel:
Greg Nees beschreibt „German Communication Patterns“ und vergleicht sie mit Amerikanischen (Nees 2000: 61 – 96). Den Hauptunterschied in den beiden Kommunikationsstilen sieht er in folgendem:
- In Deutschland wird großer Wert auf explizite sprachliche Kommunikation gelegt. Das führe zu einer Betonung der Inhaltsebene der Kommunikation und einer weniger starken Betonung der Beziehungsebene. Konfliktvermeidung erfolge besonders in geschäftlichen Kommunikationssituationen nicht durch Betonung von Harmonie auf der Beziehungsebene oder durch Ausgleich von Meinungsunterschieden, sondern durch Aufrechterhaltung formaler und sozialer Distanz.
- Amerikaner betonten auch die Inhaltsebene, aber auf die Beziehungsebene würde größerer Wert gelegt als im Deutschen. Diese unterschiedliche Gewichtung der Inhaltsebene und der Beziehungsebene in der Kommunikation ist für ihn der wesentliche Unterschied zwischen deutschen und amerikanischen Kommunikationsstilen (vgl. Nees 2000: 62 – 63).
Im Einzelnen kennzeichnet und beschreibt Nees deutsche Kommunikationsstile wie folgt (vgl. Nees 2000: 65 – 96):
Privat – Öffentlich: Der Wechsel vom du zum Sie sei nicht einfach ein Wechsel zwischen zwei Pronomen, sondern ein Wechsel in der Modalität (vergleichbar mit der Benutzung der schwarzen oder weißen Tasten auf einem Piano)! Durch minimale grammatische Veränderungen führen die Sprecher eine völlig unterschiedliche Stimmung und Aussageweise ein. Die deutsche „Sie-Interaktion“ wirke auf Amerikaner oft kalt und eher abweisend (vgl. dazu auch die Bemerkungen zum Gebrauch von du und Sie im Teil 2 dieses Materials).
Direktheit und Klarheit: Abhängig von der Situation und dem Kommunikationsverfahren benennt Nees folgende Unterschiede in der Direktheit der Kommunikation: Beim Geben von Komplimenten, Ausdruck von Freude oder positiven Emotionen seien Amerikaner, besonders in der Öffentlichkeit, häufig direkter. Auch bei der Bekanntgabe persönlicher Details an Leute, die sie nicht gut kennen, können Amerikaner direkter als Deutsche sein. Wenn es aber um das Feststellen von Tatsachen, das Äußern von Kritik oder das Geben von Anweisungen geht, seien Deutsche generell viel direkter und würden deshalb häufig sie als eigensinnige, ungehobelte, schroffe Besserwisser wahrgenommen. Der Wunsch nach Klarheit führe im Deutschen zu dieser Direktheit, die sich sprachlich zum Beispiel so äußere:
- Deutsche verwenden oft „upgraders“, wenn sie sich beschweren, Amerikaner eher „downgraders“: „Well, it doesn’t show him in a real positive light“ – „Das war absolut schamlos!“.
- Deutsche verwenden einfache Ja/Nein-Aussagen, die nicht weiter qualifiziert werden.
- Direkter Widerspruch ist im Deutschen normal.
- Die Modalverben „müssen“ und sollen“ werden im deutschen anders und häufiger als im Amerikanischen verwendet: „It would be good if we could do it that way“ – „Das muss so gemacht werden.“
- Tendenz zu direkten Imperativen im Deutschen: „Bringen Sie uns zwei Rotwein, bitte.“ – „Could we have two glasses of red wine please?“
Selbstdarstellung: Jede Kommunikation hat eine Komponente der Selbstdarstellung, des Image-Managements. Im Deutschen würde ein positives Image anders als im Amerikanischen vermittelt, nämlich im öffentlichen Bereich (aufgrund der strikten Trennung von privat und öffentlich) durch Übermittlung eines Gefühls der Vertrauenswürdigkeit und des Respekts. Zu Hause/im privaten Bereich spielten Gefühle und Freundlichkeit eine größere Rolle.
Kritische Fragen: Intellektueller Kritizismus spiele eine wichtige Rolle bei deutschen Konversationsmustern. Besonders junge und eher linksstehende Deutsche sprächen ziemlich offen und kritisch über die jüngere deutsche Geschichte und verstünden deshalb nicht die defensive Reaktion von Amerikanern gegenüber Kritik an amerikanischer Politik und Kultur. Angelegenheiten/Dinge in der Öffentlichkeit kritisch zu beleuchten sei ein Teil des deutschen Kommunikationsstiles geworden.
Diskussion als Problemlösung: Meist sei eine Diskussion analytisch und habe etwas als Mittelpunkt, das die Deutschen ein Problem nennen. Aus ihrer Perspektive heraus sei der Weg, ein Problem zu lösen, es komplett zu verstehen, also auch seine Ursachen und den relevanten Hintergrund. Amerikaner seien eher pragmatischer und funktionaler eingestellt und bevorzugten häufig die „Don’t tell me the problem, tell me the solution“ – Lösung.
Vertiefen – Ins Detail gehen: Vertiefen heißt, die zentralen Aspekte einer Frage zu finden. Dazu werden theoretische Argumente, Fakten und kritische Fragen verwendet. Es käme dabei weniger darauf an, das Gesicht zu wahren, als die Wahrheit zu finden. Das führe zu einem expliziten Redestil, in dem Präzision des Ausdrucks, Exaktheit der Definition und Belesenheit eine große Rolle spielen. Amerikaner bevorzugten eher freie Assoziationen, Kreativität und Vorstellungskraft, sie würden im Gespräch eher von Inhaltspunkt zu Inhaltspunkt springen. Das sei das genaue Gegenteil von Vertiefen, das erfordert, dass der Sprecher bei einem Punkt bleibt, bis eine Lösung erreicht ist. Dieser Unterschied könne zur Erhärtung bestehender Stereotype führen: Amerikaner sähen Deutsche dann häufig als perfektionistisch und zwanghaft, Deutsche sähen Amerikaner als oberflächlich und nachlässig.
Verbindlichkeit: Verbindlichkeit, d.h. das Gefühl rechenschaftspflichtig zu sein für das was man sagt, sei immer noch eine wichtige Kraft bei der Strukturierung des deutschen Gesprächsstils. Das, was man sagt, würde normalerweise als bindend betrachtet. Vertrauenswürdigkeit und Verlässlichkeit seien Schlüsselaspekte, auf die Deutsche in geschäftlichen und persönlichen Beziehungen achten. Das sei besonders für Amerikaner wichtig zu wissen, denn deren Philosophie des „keeping one’s options open“, „maintaining a flexible position“ und „going with the flow“ führe zu einer toleranteren Beurteilung, wenn Menschen ihre Meinung oder Entscheidung ändern.
Sachlichkeit: Sachlichkeit als Gesprächsstil – besonders in der öffentlichen Sphäre – bedeutet, bei der besprochenen Sache zu verbleiben, alle persönlichen Bezüge aus dem Gespräch herauszulassen und so wenig emotional und so weit wie möglich bei den Tatsachen zu sein was sprachlich an formellem unpersönlichem Stil zu erkennen ist.
Damit zusammenhängt, dass Deutsche gelernt hätten, ihre Meinung unabhängig von ihrer Person zu sehen. Dadurch versuchten sie objektiver und inhaltsorientierter zu sein. Amerikaner tendierten dazu, persönlich zu reagieren, wenn ihre Meinung angegriffen wird. Ein Aspekt von Sachlichkeit ist es, persönliche Erfahrungen aus dem Gespräch zu lassen. Die amerikanische Neigung, die Diskussion zu personalisieren, würde deshalb von Deutschen häufig als unangenehm gesehen.
Die feine Art des Sich-Beschwerens: Deutsche drückten ihren Ärger und ihre Irritation viel deutlicher aus als Amerikaner. Das sei zum Beispiel auch an den vielen Wörtern zu sehen, die den Sprechakt beschreiben: klagen, sich beklagen, nörgeln, sich beschweren, mäkeln, schimpfen, wettern, jammern, meckern, motzen …
Sich zu viel zu beschweren, lasse einen in den USA sehr schnell als „looser“ erscheinen, es sei sozial weniger akzeptiert, man zeige ein positives Selbstbild. Nörgeln und Jammern sei in Deutschland auch ein soziales Ritual, um Beziehungen aufzubauen und eine Gemeinschaft zu schaffen, denn indem Sprecher miteinander über dieselbe Sache jammern, machen sie deutlich, dass sie zu derselben Gruppe gehören und gleiche Interessen haben. Jammern und Nörgeln gemeinsam mit Freunden diene auch als emotionales Sicherheitsventil.
Nonverbale Kommunikation: Körperliche Gesten, Körperbewegungen und auch stimmliche Resourcen würden in Deutschland eher zurückhaltend eingesetzt. Amerikaner wirkten auf Deutsche deshalb häufig überemotional durch ihre expansiven Gesten und größere Lautstärke. Einzelne Bereiche der nonverbalen Kommunikation beschreibt Nees folgendermaßen:
- Deutsche Stimmuster tendieren zu einer tieferen Lage und zeigen weniger Modulation als amerikanische. Das bringe Amerikaner durcheinander, die an weniger monotone Stimmuster und mehr Expressivität, die positive Gefühle vermittelt, gewöhnt seien.
- Stille und Pausen, die einen Amerikaner sich unbequem fühlen lassen, seien im Deutschen länger und häufiger und könnten als Zeichen von Harmonie interpretiert werden.
- Das Tempo ist langsamer und reflexiver als im Amerikanischen, wo Harmonie durch einen stetigen Redefluss signalisiert wird und Pausen Unbehagen erzeugen. Normalerweise sprechen Deutsche auch nicht so laut wie Amerikaner.
- Distanz: Deutsche warten mit der Begrüßung normalerweise, bis der Gesprächspartner ziemlich nahe ist. Lautes Rufen und Winken gälte eher als unhöflich. Der persönliche Raum sei in Deutschland kleiner als in den USA. Man geht eng aneinander vorbei, ohne sich dafür zu entschuldigen. Das Teilen von Restauranttischen mit Fremden ist üblich. Deutsche halten weniger weiten körperlichen Abstand; sie halten den Abstand psychologisch, indem sie die Anwesenheit des Fremden nicht wahrnehmen und indem sie formal und reserviert bleiben.
- Mimik und Augenkontakt: „While direct eye contact is also an American characteristic, germans have the disconcerting habit of fixing you with an unwavering gaze that seems to last for a fraction of a second too long and makes Americans uneasy“ (Nees 2000: 93). Der deutsche Augenkontakt im Gespräch, der für Deutsche ein Zeichen von Interesse ist, sei für Amerikaner zu intensiv und direkt. Für Deutsche wiederum sei der amerikanische Augenkontakt häufig nicht lang genug.
- Lächeln: Während amerikanisches Lächeln nur meine, dass jemand höflich, freundlich oder von sympathischem Äußerem ist, signalisiere ein deutsches Lächeln häufiger wirkliche Zuneigung und wird deshalb mit sehr viel mehr Umsicht verwendet, normalerweise nur bei den Personen, die man kennt und wirklich mag.
- Körperhaltung: Normalerweise würden schon Kinder eine aufrechte Körperhaltung lernen („Sitz gerade!“).
Greg Nees stellt fest, dass es zu dem von ihm beschriebenen Kommunikationsstil sicher Varianten, auch regionale Varianten gibt (vgl. Nees 2000: 95). Er betont aber zurecht, wie wichtig es ist, sich mögliche Unterschiede im Kommunikationsstil bewusst zu machen.
Ausgehend vom Kulturstandardkonzept von Alexander Thomas (vgl. z.B. Thomas 1993) untersuchen Sylvia Schroll-Machl und Ivan Novy Kulturunterschiede in der deutsch-tschechischen Zusammenarbeit und beschreiben in diesem Zusammenhang auch Kommunikationsstile im Bereich der beruflichen Kommunikation (Schroll-Machl, Novy 2000).
Sie betonen dabei auch die Grenzen des Kulturstandardkonzepts, die vor allem in der Reduktion komplexer Wirklichkeit liegen, wodurch Stereotypisierungen Vorschub geleistet wird. Man kann mit diesem Konzept also nur Tendenzen erfassen, aber keine Aussagen über individuelle Einstellungen oder Verhaltensweisen treffen (Schroll-Machl, Novy 2000: 17 – 18).
Deshalb sind auch bei der Charakterisierung von Kommunikationsstilen eine Reihe situativer und struktureller Variable zu berücksichtigen, die Einfluss auf Verhalten – auch auf kommunikatives Verhalten – haben:
- „die Bedingungen des Kontakts (Dauer, Intensität, Freiwilligkeit),
- die Zugehörigkeit zu Subgruppen …( Berufsgruppen, Organisationskultur, Bildungsstand, Sozialstatus),
- die Zielvorstellungen der Beteiligten und ihre Kompatibilität,
- das Tätigkeitsfeld der beteiligten Personen,
- die aktuellen und konkreten Interessen,
- der Status der beteiligten Gruppen und Individuen Machtstrukturen),
- der möglicherweise stattfindende Wettbewerb zwischen ihnen,
- das dominante soziale lima, in dem die Begegnung stattfindet …“ (Schroll-Machl, Novy 2000: 18).
Ausgehen von Fragen des Berufslebens werden unterschiedliche Vorgehensweisen thematisiert:
- Liegt in der Interaktion der Fokus auf der Sache oder auf den beteiligten Personen? – Sachbezug versus Personenbezug.
- Einstellung gegenüber Strukturen? – Aufwertung oder Abwertung von Strukturen
- Werden Dinge hintereinander oder parallel erledigt? – Konsekutivität versus Simultanität.
- Wo ist ethische Verantwortung verankert? – Regelorientierte Kontrolle versus personenorientierte Kontrolle.
- Wie groß ist die Spannbreite von Betroffenheit? – Trennung von Persönlichkeits- und Lebensbereichen versus Diffusion von Persönlichkeits- und Lebensbereichen.
- Wie wird kommuniziert? – Schwacher versus starker Kontextbezug.
- Wie wird mit Konflikten umgegangen? – Konfliktkonfrontation versus Konfliktvermeidung.
- Wie tritt jemand auf? – Stabile versus schwankende Selbstsicherheit (Schroll-Machl, Novy 2000: 21 – 22).
Bei der Charakterisierung von Tendenzen im deutschen beruflichen Kommunikationsstil kommen die beiden Autoren zu ähnlichen Ergebnissen wie Greg Nees:
- In der beruflichen Kommunikation dominiert die Sachebene, die Beziehungsebene bleibt oft unberücksichtigt (Schroll-Machl, Novy 2000: 33).
- Detaillierte Diskussion, Erklärung, Erläuterung; schriftliche Bestätigungen, Zusagen, Dokumentationen sind wichtig (Schroll-Machl, Novy 2000: 49).
- Gespräche zum Aufwärmen und Small Talk eher unüblich in der beruflichen Kommunikation, eher in der privaten (Trennung von Lebensbereichen, was sich auch in der Art zu kommunizieren zeigt) (Schroll-Machl, Novy 2000: 58).
- Ehrlichkeit ist wichtig, Ausreden werden nicht akzeptiert, Probleme werden benannt und lösungsorientiert diskutiert (Schroll-Machl, Novy 2000: 74 .- 75).
- Trennung von Persönlichkeits- und Lebensbereichen führt zu unterschiedlichen Kommunikationsstilen im beruflichen und privaten Bereich: rational im beruflichen, emotional eher im privaten Bereich. Für die Art des Kontaktes spielt Nähe eine entscheidende Rolle: „Es sind bei ein- und derselben Person ganz unterschiedliche Verhaltensweisen beobachtbar, je nachdem, ob der Interaktionspartner ein Fremder, ein bekannter/ Kollege, ein guter Bekannter oder ein echter Freund ist“ (Schroll-Machl, Novy 2000: 91).
- Ein sehr direkter und expliziter Kommunikationsstil wird in beruflicher Kommunikation bevorzugt. Das wirkt ehrlich und aufrichtig, für andere aber unter Umständen undiplomatisch und verletzend, obwohl das nicht so gemeint ist. Es wird kein Interpretationsspielraum gelassen, es wird gesagt, was man meint. Umgekehrt wird in die Dekodierung auch nur einbezogen, was ausdrücklich gesagt wurde (Schroll-Machl, Novy 2000: 107 – 108).
- Zu dem direkten Kommunikationsstil gehören auch ein klares Nein und klares Widersprechen. In Diskussionen wird klar Stellung bezogen, sie wirken deshalb oft konfrontativ. Konstruktive Kritik wird relativ offen und aufrichtig geäußert, wobei die Sache kritisiert wird, nicht die Person (Schroll-Machl, Novy 2000: 120 – 122).
- Durch die klare und deutliche Meinungsäußerung und das offene Widersprechen und scheinbar von Zweifeln unangefochtene Sprechen wirkt der Kommunikationsstil sehr selbstsicher (Schroll-Machl, Novy 2000: 134 – 135).
Eine japanische Studentin, die vor einigen Jahren an der TU Dresden Germanistik
studiert hatte und während ihres Studiums Japanischunterricht an der Volkshochschule Dresden gab, sieht unter anderem auch in unterschiedlichen Kommunikationsstilen Ursachen für Schwierigkeiten, die deutschsprachige Lernende beim Lernen der japanischen Sprache hatten: Aus einem Praktikumsbericht.
In ihrem Praktikumsbericht beschreibt sie Japanisch als eine Sprache, die einen höheren Kontextbezug verlangt als das Deutsche und somit weniger konkret ist. Es schien für die deutschen Lernenden schwierig zu sein zu verstehen, dass durch die Sätze sprachlich weniger Informationen übertragen werden können und sollen. Denn im Deutschen wird zum Beispiel auf die korrekte Person und verschiedenste Zeitformen Rücksicht
genommen während im Japanischen die Angabe von Personen komplett eingespart werden kann. Es seien Sätze ohne Subjekt, ja sogar ohne Objekt nicht nur möglich, sondern auch üblich. Dies setzt eine erhebliche Vorkenntnis über die Person oder das Thema des Gespräches voraus. Daher wird auch, so schreibt sie, ein Gespräch zwischen zwei bislang unbekannten Personen, die auch noch höflich zueinander sein
wollen, verkompliziert.
Als zweiten Problembereich nennt die Studentin die Formen höflicher Kommunikation. ImJapanischen, schreibt sie, gibt es unterschiedliche Verbformen, die unterschiedliche Grade an Höflichkeiten differenzieren. Außerdem ist im Japanischen der Höflichkeitskodex sogar in einer Aussage vorhanden. Sollte der Gesprächspartner
älter, fremd, oder eine Respektsperson sein, muss man sich bestimmter Höflichkeitsformen bedienen.
Selbst in der Kommunikation zwischen deutschen Muttersprachlern konnte und kann es aufgrund unterschiedlicher Kommunikationsstile zu Irritationen kommen, was sich sehr gut nach dem Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990 zeigte. Nun trafen Menschen zusammen, die vollkommen unterschiedlich sozialisiert waren und aufgrund dieser unterschiedlichen Sozialisation auch einen teilweise anderen Kommunikationsstil pflegten. Wolf Wagner, ein westdeutscher Wissenschaftler, der Anfang der 1990er Jahre eine Professur an einer Fachhochschule in den neuen Bundesländern annahm, beschreibt die damit verbundenen Irritationen in seinem Buch „Kulturschock Deutschland“ (Wagner 1996) unter anderem in einem Kapitel, das er „Der Sprachkrieg“ nennt:
„Die aus dem Westen importierten Lehrenden und auch ich waren entsetzt, als die Studentinnen von sich beinahe ausschließlich in männlicher Form sprachen. Der rauen sprachen von sich als „drei Mann hoch“, bezeichneten sich als „Studenten“, waren „Kindergärtner“, „Erzieher“ und wollten „Sozialarbeiter“ werden. Auch mich irritierte dieser Sprachgebrauch. ich verspürte dabei immer einen kleinen Schreck, als ob ich mich nach einer mißbilligenden oder strafenden Instanz umblicken müsste. Denn ich hatte im Verlauf von über zwanzig Jahren durch Einsicht, aber auch durch Druck gelernt, meinen Sprachgebrauch als patriarchalisch bis chauvinistisch zu erkennen, und war sehr darum bemüht, ihn zu verbessern …
Eine feministische Kollegin hatte es sich zur persönlichen Aufgabe gemacht, der sprachlichen Zurückgebliebenheit, insbesondere der Studentinnen, abzuhelfen. Sie maßregelte und korrigierte sie ebenso wie ihre männlichen Kollegen an jeder nur möglichen Stelle. … Die Studierenden erfüllten in den Hausarbeiten die von uns gemachten Auflagen, weigerten sich aber meist, ihre Alltagssprache zu verändern. … In Gesprächen kam heraus, dass die Ostfrauen der Ansicht waren, sie hätten viel mehr an wirklicher Emanzipation , an gleichberechtigter Teilhabe an der Gesellschaft erreicht, hätten sozusagen „ihren Mann gestanden“, und dies drücke sich eben auch in ihrer Sprache aus, in der sie demonstrierten, daß sie in gleicher Funktion und gleicher Leistung wie die Männer in der Gesellschaft gestanden hatten …“ (Wagner 1996: 111 – 112).
Am Beispiel Händeschütteln beim Begrüßen, am Beispiel Alltagsgespräche sowie an anderen Beispielen thematisiert Wagner weitere Unterschiede in den Kommunikationsstilen und daraus resultierende mögliche Missverständnisse (Wagner 1996: 141 – 191).
Auch Olaf Georg Klein führt in seinem Essay „Warum Ost- und Westdeutsche aneinander vorbeireden …“ aus dem Jahr 2002 Kommunikationsprobleme zwischen Ost- und Westdeutschen auf zwei grundsätzlich unterschiedliche Kommunikationskulturen in Ost und West zurück und stellt fest, dass Verständigung nicht durch einseitige (ostdeutsche) Anpassung erreich wird (Klein 2002).
Wieweit solche Unterschiede in den Kommunikationskulturen bis heute zu finden sind, wäre ein interessantes Thema.
4. Schluss und weiterführende Gedanken
Mit den drei Zugänge zu Kultur über Sprache,
- dem Zugang über das Hinterfragen von Bedeutungen,
- dem Zugang über Grammatik und
- dem Zugang über die sprachliche Realisierung von kommunikativen Absichten (Kommunikationsstile)
wurde versucht zu zeigen, wie eng Sprache und Kultur zusammenhängen, so dass Sprachlernen und Sprachvermittlung ohne Kulturlernen und Kulturvermittlung nicht möglich ist.
Der enge Zusammenhang von Sprache und Kultur zeigt sich auch darin, wie Sprache offenbar die Art und Weise, wie wir denken und die Welt wahrnehmen, beeinflussen kann. In Ihrem Vortrag „How the Languages We Speak Shape the Ways We Think“ gibt Lera Boroditsky im Rahmen der UCTV Seminars einige Beispiele für den Zusammenhang zwischen Sprache und Denken:
- Beispiele im Bereich der Raum- und Richtungsangaben: Im Englischen- auch im Deutschen – verwendet man zum Beispiel körperzentrierte Bezeichnungen wie „der linke Arm“, „die rechte Hand“ der „die Tasse steht links von mir“. In Sprachen australischer Aborigines sind diese Bezeichnungen richtungsorientiert auf die Himmelsrichtungen: „Bewege Deine Tasse ein wenig nach Nord-Nord-Ost“. (vgl. dazu auch Everett 2013: 265 – 266). Boroditsky sagt, dass Menschen, die solche Sprachen sprechen, richtungsorientiert sind im Unterschied zu beispielsweise Sprechern des Englischen und demzufolge ganz andere kognitiven Fähigkeiten haben.
- Beispiele im Bereich des Denkens über Zeit: Für uns liegt die Vergangenheit hinter uns und die Zukunft vor uns. Für die Aymara (ein indigenes Volk in Südamerika) liegt die Vergangenheit liegt vor uns, die Zukunft aber hinter uns (weil wir sie nicht sehen können).
- Beispiele im Bereich der Zahlwörter: Manche Sprachen haben keine exakten Zahlwörter, sondern nur 1, 2, „wenig“und „viel“, manche haben genau genommen noch nicht einmal 1 und 2 (z.b. die Sprache Pirahã im Amazonasgebiet, vgl. Everett 2009 und Everett 2013: 256).
In diese Richtung weiterzudenken könnte spannend sein.
Quellen Teil 3
Everett, Daniel (2009): Don’t sleep, there are snakes. Life and Language in the Amazonian Jungle. – Profile Books, London.
Everett, Daniel (2013): Language: The Cultural Tool.- Profile Books , London.
House, Juliane. (1997). Zum Erwerb Interkultureller Kompetenz im Unterricht des Deutschen als Fremdsprache. Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht [Online], 1(3), 21 pp. Available: http://tujournals.ulb.tu-darmstadt.de/index.php/zif/article/view/734/711.
Klein, Olaf Georg (2002): Warum Ost- und Westdeutsche aneinander vorbeireden … – In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament vom 16. September 2002, Ausgabe B 37 – 38/2002, S. 3 – 5. – Online am 03.01.2018 unter http://www.bpb.de/apuz/26714/warum-ost-und-westdeutsche-aneinander-vorbeireden- .
Nees, Greg (2000): Germany. Unraveling an Enigma. Intercultural Press: Yarmouth, Maine USA.
Thomas, Alexander (1993): Psychologie interkulturellen Lernens und Handelns. – In: Alexander Thomas (Hrsg.): Kulturvergleichende Psychologie. – Hogrefe Verlag für Psychologie, Göttingen.
Schroll-Machl, Sylvia; Novy, Ivan (2000): Perfekt geplant oder genial improvisiert? Kulturunterschiede in der deutsch-tschechischen Zusammenarbeit. – Rainer Hamp verlag, München und Mering.
Wagner, Wolf (1996): Kulturschock Deutschland. – Rotbuch-Verlag, Hamburg.
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